Fußballakademiker oder Straßenfußballer?

 

 


Bildausschnitt aus "Tausend tolle Tore" 1965/1966 vom Sicker-Verlag, Frankfurt/Main

 

Straßenfußball oder Kettenzwang?

Die Seele des Fußballs lebt von der Spontaneität. 


"Gegen den Ball arbeiten"? Der Klassiker eines Statements.

Noch wird Fußball mit dem Ball gespielt.

 

Als die Deutsche Fußballnationalmannschaft 0:6 gegen Spanien verloren hatte, war etwas aufgedeckt worden, was bisher durch Europapokal und vorherige Weltmeisterschaften immer wieder übertüncht worden ist: "Der Straßenfußball hat gegen den Reißbrettfußball gewonnen"

Bestätigt wurde dies noch einmal gegen Nordmazedonien.

Nur was bringt diese Einsicht? Vorerst mal gar nichts. 

Denn der Deutsche Fußballbund als Dachverband von 26 Fußballverbänden in Deutschland mit knapp 25.000 Fußballvereinen ist gerade dabei, sich selbst in alle Einzelteile zu zerlegen, bzw. sich von der Deutschen Fußballliga zerlegen zu lassen. 

Die Deutsche Fußball Liga hat wenig Interesse am Amateur- oder Jugendfußball in der Breite. Höchstens noch für die Nachwuchsförderung in deren Leistungszentren. Die DFL vertritt den Zusammenschluss der Vereine aus der ersten und zweiten Bundesliga und deren Kapitalgesellschaften gegenüber dem DFB. Leider immer seltener im Sinne des Gesamtfußballs in Deutschland.

Und unsere Gesellschaft geht lieber ins Stadion statt die eigenen Dorf- bzw. Stadtteilvereinen bei Heimspielen zu besuchen oder dessen Schüler- und Jugendmannschaften zu unterstützen.

Der Fisch stinkt hier nicht nur vom Kopf sondern auch von der "Schwanzflosse". 

 

EM-Aus 2021 als weitere Bestätigung

Nun bestätigt sich eine "verkopfte" Nachwuchsarbeit: Ausscheiden bei der EM 2021. Schon das Glück ins Achtelfinale zu kommen war enorm. 

Ein Trainer, welcher gnadenlos an einer Strategie festhielt, welche wohl bereits zwei bis dreimal überholt ist. 

Eine Mannschaft, welche nicht genau wusste, wie das Zusammenspiel der Ketten funktionieren sollte. Ein Sturm ohne Stürmer, aber mit viel Mittelfeldstars, welche nicht bereit waren, füreinander und miteinander zum Ziel zu kommen.

Spieler, welche als "glattgeschliffene" Leistungszentren-Produkte verunsichert in einer fremden Taktikwelt umherirrten. 

Sie fühlten sich sogar von den ungarischen Verteidigern als zu hart angegangen, obwohl diese genau das machten, was ihnen selbst fehlte: Kampf mit Herz und Verstand. 

    

 

So war es mal: 

Fußball - ein Spiel, das Menschen bewegt, ein Sport für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, für Mädchen und Frauen für Jungs und Männer. Spaß für Jung und Alt, egal ob aktiv oder passiv. 

Der Fußball war, ich betone war, eine Sportart, welche früher an jeder Ecke in irgendeiner Form gespielt werden konnte. 

Einer mit einem, zwei gegen zwei, usw.. Hauptsache es war Platz für das Spiel, welches Bewegung mit Begeisterung für ein gemeinsames Spiel verband.

Die sogenannten "Ausscheiderspiele" waren die Krönung eines Fußballtages: Es wurde ein Kreis gebildet und der Ball durfte von einem Spieler maximal dreimal "in der Luft gehalten werden". Danach musste der Ball in ohne Bodenberührung weitergegeben werden. Abspiele durften durchaus etwa schärfer sein, der Ball musste gekonnt angenommen und wieder weitergegeben werden. Die drei besten ermittelten ihren Sieger mit einem 16-Meter-Schießen.

Wer es noch kennt: die Fachzeitschrift Kicker hatte in den 70ern einen Wettbewerb ausgeschrieben. Wer kann den Ball am längsten in der Luft halten? Ich habe es damals auf 110 Kontakte gebracht und war einer der Schwächeren. Auch heute gibt es noch "Tipps für den Nachwuchs" von Kicker.

Wer gut spielen konnte, war natürlich im Vorteil. Aber, jeder der gut spielen konnte wusste, "ohne die anderen kann ich auch nicht spielen." Also wurde mit jedem gespielt, ob er nun ein "Hochtalentierter" oder nur ein "Bolzer" war. 

Jeder lernte den anderen mit seinen Begabungen und Fähigkeiten zu akzeptieren.

Die guten Spieler wurden automatisch im Verein im Sturm oder im offensiven Mittelfeld aufgestellt. Der Libero musste auch noch gut spielen können, um seinen Mitspielern in der Abwehr gegen die guten Stürmer mit seiner Technik und seiner Übersicht helfen zu können.

Die "Bolzer" waren die Verteidiger, der Vorstopper und ab und zu einer der Mittelfeldspieler, der zwar eine Pferdelunge haben sollte, ansonsten aber, zusammen mit den Verteidigern, die gegnerischen Spieler eher möglichst hart angehen musste. Der Linksaußen war entweder das Genie der Mannschaft oder die Notlösung für den 11. Mann.

Der Torwart war der, der keine Angst haben durfte sich mit dem ganzen Körper ins Getümmel zu stürzen. Es waren meist Spieler, die Sprungkraft mit der Liebe des Fliegens durch den Strafraum verbanden. Meist waren es aber Spieler, welche durch Zufall zu ihrer Berufung kamen. 

Wie Sepp Maier und Petar Radenkovic. Beide waren ursprünglich Feldspieler, welche irgendwann einmal ins Tor mussten, weil der Stammtorwart erkrankt oder verletzt war. 

Das ganze wurde so vom Trainer einer jeweiligen Mannschaft bestimmt. So weit, so gut. Widerspruch war nicht erlaubt.

 

Die Zeiten änderten sich. 

Es gab immer mehr ballgewandte und technisch affine Spieler. So mussten irgendwann auch diese guten Spieler in den sauren Apfel beißen und als Verteidiger oder im defensiven Mittelfeld spielen. 

Dabei durften sie ihren Posten meist nicht, in Ausnahmefällen eher selten verlassen. Höchstens ein paar Meter über die Mittellinie, dann war Schluss. Vorne durften sich die Stürmer tummeln, ohne sich über Abwehr oder Verteidigung Gedanken machen zu müssen. 

Wehe einem Verteidiger wäre bei einem Angriff in den Sinn gekommen, in die freien Räume zwischen Mittellinie und Eckfahne zu laufen, um seinen Mitspielern als Anspielstation zu dienen. 

Die Trainer sind bei solchen Versuchen der Spieleinbringung fast auf den Platz gesprungen und haben ihrem Verteidiger klar gemacht, wo er zu stehen hat und was er machen darf.

 

Die ersten Verteidiger bzw. defensiven Mittelfeldspieler, die ihr Spiel anders interpretierten, waren Paul Breitner und Johnny Hansen vom FC Bayern. Vermutlich auch unterstützt von Udo Lattek, der bereits ein wesentlich flexibleres Spiel seiner Mannschaft auf den einzelnen Positionen bevorzugte.

Manfred Kaltz vom HSV interpretierte sein Spiel bereits als verteidigender Flügelspieler. Seine Bananenflanken für Horst Hrubesch sind bis heute unerreicht. 

Beim FC Bayern gab es in den 70ern sogar eine Zeit, in der die Flügelstürmer für die am Angriff beteiligten Mittelfeldspieler Defensivaufgaben übernahmen, vermutlich übernehmen mussten, da die Achse Maier - Beckenbauer - Müller das Spiel durch die Mitte bevorzugte, wobei Franz Beckenbauer und Gerd Müller den Doppelpass nicht als Ausweg aus einer kniffligen Situation spielten, sondern mit Doppelpässen den Spielaufbau geradezu perfektionierten.

Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge, zwei Stürmer, welche sich nicht zu schade waren, zu "defensieren", also mit der Verteidigung bereits in der gegnerischen Spielhälfte zu beginnen, sollten dabei ebenfalls nicht vergessen werden.

Bei genauerer Betrachtung kann jeder sehen, die Zeit von 1973 bis 1976 war beim FC-Bayern geprägt von einer bärenstarken Abwehr, einem sehr laufintensiven Mittelfeld und höchstens zwei Stürmern. 

Nicht zu vergessen, Trainer die technische LP ihrer damaligen Mannschaftmitglieder mit filigraner Arbeit in absolute Stärke umwandeln konnte.

Nicht umsonst gelang es den Europapokal der Landesmeister dreimal hintereinander zu gewinnen und sich dazu gegen ausgezeichnete Mannschaften durchzusetzen.

Borussia Mönchengladbach, die zweite prägende Mannschaft der  70er Jahre war individuell auf den Positionen mit jungen Spielern ebenfalls gut bis sehr gut besetzt. Sie begeisterten die Zuschauer in den Stadien mit offensivem Spiel. 

Leider fehlte den Gladbachern für den internationalen Durchbruch die Erfahrung und Kaltschnäuzigkeit. 

Allerdings darf erwähnt werden, ihr Weg zur Spitze wurde von einem Büchsenwurf jäh gestoppt. Wer weiß, vielleicht wäre danach alles ganz anders gekommen. 

 

Warum erzähle ich das alles?

Nun, jede dieser Mannschaften, den Hamburger Sportverein ab Ende der 70er bis Anfang der 80er Jahr eingeschlossen war durchsetzt von "Straßenfußballern". 

Fußballer, die auf Bolzplätzen, auf Straßen, in Hinterhöfen und Hauseingängen gelernt hatten, den Ball gegen Mitspieler zu verteidigen, zu halten und jede Gelegenheit für ihren Körpereinsatz nutzten, um sich und den Mitspielern einen Vorteil zu verschaffen.

Straßenfußball war bzw. ist in vielen Ländern noch immer ein Sport, welcher Sozialverhalten und Egoismen für den gemeinsamen Erfolg verbinden soll bzw. muss. Einer kann nicht alles alleine machen, andere waren und sind auf egoistisches Verhalten auf dem Platz angewiesen, damit Tore fallen konnten.

Begabung, Wille, Ausdauer, Lernbereitschaft und nicht zu vergessen, Durchsetzungsvermögen, teilweise gegen die eigenen Eltern, waren der Nährboden für alle Fußballer, die sich in eine Mannschaft, egal in welcher Liga, einbringen wollten.

Ich kann es nicht genau sagen, aber es muss in den 80er Jahren begonnen haben, als immer mehr Bolzplätze verschwanden, die Bezirksportanlagen ihre Tore nur zu den vorgegebenen Trainingszeiten öffneten und Fußballplätze in den Dörfern in kleine Stadien umgewandelt wurden, welche nur für die von den Verbänden festgelegten Spiel genutzt werden durften.

Der Fußball wurde, zumindest in Deutschland, "überreguliert". 

Das Spiel der Kinder in den Hinterhöfen und Bolzplätzen verschwand lautlos aus dem öffentlichen Leben und wurde peu à peu auf die dafür festgelegten Orte verbannt.

 

Es begann das langsame Sterben des Breitensports Fußball.

"Fußball hat sich in den Vereinen abzuspielen", so muss wohl das Credo einiger Verantwortlicher gelautet haben. 

Wer dann im Verein keine Lust hatte, sich als 12-jähriger langweilige Vorträge über Taktik anzuhören, war schnell aussortiert.

Kinder die aus unterschiedlichen Gründen nicht in Vereinen spielten, zogen sich irgendwann aus dem Bewegungssport Fußball zurück. Denjenigen die noch spielen wollten, blieb nur der Verein. 

Ein Verein, der ihnen vorschreibt, wann sie ins Training kommen müssen, wie das Training abläuft, wann das nächste Spiel ist und wann der nächste Zeitpunkt für ein Treffen zum Auswärtsspiel ist. Zwischen den Trainingseinheiten wird entweder gar nichts oder nur sehr wenig mit dem Ball gemacht.

Diejenigen, welche noch einen Bolzplatz oder eine kleine Rasenfläche zur Verfügung zu haben, können sich glücklich schätzen, wenn sie Freunde für einen "Kick" finden. 

Und vermutlich mehr Spaß haben, weil sie für einen nicht abgegeben Ball vom Trainer nicht lauthals geschimpft werden. Höchstens vom Freund, der verärgert ist.

Vermutlich werden viele Talente gar nicht mehr erkannt bzw. haben gar keine Möglichkeit, ihr Talent und ihren individuellen Willen unter Beweis zu stellen.     

Wie viele von den aktiven Kindern in den Jugendfußball übertreten ist gar nicht bekannt.  

Heute werden talentierte 10jährige aus ihren Vereinen geholt und befinden sich dann irgendwo in sogenannten Fußballinternaten. Dort müssen sie sich täglich mit ebenfalls sehr guten und talentierten Mitspielern messen, welche allerdings auch von weit her kommen und sich durchsetzen wollen.

Ob sie dann in die U-sowieso kommen, oder aussortiert werden, steht auf einem ganz anderen Blatt.  

Bisher funktionierte das Ganze ausgezeichnet. Scouts aller möglicher Vereine sind immer noch täglich auf den Fußball- und Trainingsplätzen unterwegs, um diese talentierten Kinder zu beobachten. 

Immer öfter hört man jedoch, Amateurfußballvereine klagen über Nachwuchssorgen. Es werden Spielgemeinschaften mit anderen Vereinen gebildet, um dem Nachwuchsmangel für die Jugend- und die späteren Vereinsmannschaften einigermaßen zu kompensieren. 


Brechen den Verbänden allmählich die Fundamente weg?

Wundern bräuchten sie sich nicht. Viele Ehrenamtliche investieren gewaltig viel Zeit in die Betreuung von Schülern und Jugendlichen.

Wenn allerdings Verbände verlangen, der Betreuer muss einen Trainerschein machen, damit der Verein einen Zuschuss für seinen Ehrenamtlichen bekommt, dann stimmt irgendetwas nicht mehr. 

Ich behaupte, viele Trainer ohne Schein bilden besser aus, als manche mit Schein.

Ist es für den Schülerfußball erforderlich, die Zweier-, Dreier-, Vierer-, Fünfer-, oder sogar Sechserkette und am Ende die Raute in allen Einzelheiten zu erklären und umsetzen zu lassen, wo doch schon die Herren und Damen in den Profiligen damit ihre Schwierigkeiten haben?

Die technischen Grundlagen, stoppen, weiterspielen, links und rechts schießen, Ball in allen Lagen annehmen, Kopfballpendel, fintieren, Ball abschirmen, mit Sprints vom Gegenspieler lösen, taktischer Positionswechsel für Raumgewinn usw. sollten im Vordergrund stehen. 

Vor allem aber, die Freude an der Bewegung mit Ball, und mit Mit- und Gegenspieler. 

Leider kann das alles nicht den persönlichen Erfahrungsschatz eines Bolzplatzes ersetzen. 

Dort lehrt das Spiel auch das intuitive soziale Verhalten. 

Der Stärkere hilft dem Schwächeren, um gemeinsam etwas zu erreichen. Auch gegen Größere oder Hinterlistigere. 

Es lehrt die Umsetzung von Erkenntnissen für spätere Spielsituationen. 

Wenn aber am Ende Eltern ihre Kinder nur zu Betreuung am Fußballplatz "absetzten" um für eineinhalb Stunden eine ruhige Einkaufstour zu starten, dann krankt das Ganze bereits am Elternhaus. Kinder, die so etwas erleben müssen, werden mit Sport oder speziell Fußball nie etwas am Hut haben. 


 

Vorbilder: Das nächste Problem sind die "eingekauften Spieler". 

In vielen Vereinen, sogar in kleinen Dorfvereinen, spielen mittlerweile Fußballer bei den Erwachsenen, welche mit dem Ort oder dem Nachwuchs überhaupt nichts am Hut haben. 

Sie werden geholt, in der Hoffnung mit diesen Spielern eine Klasse höher zu spielen, um das Ego des Trainers und der Vereinsoberen zu befriedigen.

Meist sind es ältere Spieler, die ehemals in höheren Klassen gekickt haben, oder ehemalige Nachwuchsspieler aus Fußballschulen, denen aber der große Durchbruch auch nicht gelungen ist.

Dafür muss der aus der Jugend kommende Spieler zuschauen und verlässt irgendwann die Welt Fußball, die ihn nur noch am Rande interessiert. 

Die Kinder sehen diese Spieler praktisch nie. Weder beim Spiel noch im Dorf oder in der Stadt, da diese nach dem Training und dem Spiel wieder in ihre Wohnung in anderen Orten zurückkehren. 

Vorbilder im Ort fehlen!

 An wem sollen sich die Kinder oder Jugendlichen den orientieren? An den Profis im bezahlten Fußball mit gegelten Haaren und dem Drang nach goldenen Steaks und schnellen Autos? Das sind weit entfernte Idole, welche mit ihren Fans lediglich über die Medien kommunizieren. Sie werden nachgeahmt was Aussehen, Kleidung und Frisur anbelangt.

Ich komme aus einem Dorfverein. Am Montag stand der Libero im Schreibwarenladen, der Rechtsaußen hatte einen Bauernhof zu versorgen, der Torwart war Versicherungsvertreter für eine bekannte Marke und der Mittelstürmer war Schmied in seiner Werkstatt. 

Jeder konnte sehen, die arbeiten und helfen anderen. Sie waren täglich erreichbare, lokale Vorbilder, mit denen auch über ein Spiel gesprochen werden konnte. Sie gaben einem Tipps für das eigene Spiel und ab und zu wurden wir von ihnen zu einem Spiel gefahren.

Unser Trainer hatte keinen Schein, aber er konnte Fußball. Wir wollten so spielen und werden wie er. Schnell, trickreich, mit einem harten Schuss und wunderbaren Flanken. Er war unser Vorbild auf dem Platz.  

Sie waren unsere täglichen Vorbilder im Ort. An ihnen konnte man sich orientieren.

 

Idole machen und können das alles nicht! 

Idole ziehen nach ein oder zwei Jahren weiter, weil sie es wollen oder müssen. Sie folgen der Spur des "immer noch mehr" und hinterfragen dabei selten ihr Handeln. Mittlerweile sind diese "Idole" nicht mehr als "gut verdienende Sklaven", welche dafür sorgen müssen, dass ihre Berater gut leben können.


 

Und nun zur Nationalmannschaft:

Es mögen alles brave und glatt geschliffene Spieler sein. 

Wer jedoch gesehen hat, wie die jungen "spanischen Wilden" individuell mit dem Ball umgegangen sind, einer für den anderen die Lücken geschlossen hat, gemeinsam an den Flügeln das Spiel an sich gezogen haben, um Raum für den Nachstoßenden zu schaffen, der hat sich an den Straßenfußball erinnert.

Genau so hat sich das Spiel gegen Ungarn angefühlt. Die Ungarn waren eben bereit ihre Erfahrung aus Straßenfußball, Herz für ihr Land und umsetzbare Taktik in Einklang zu bringen. 

Die Regel lautet: "Hilf deinem Freund, du kannst nur mit ihm gewinnen". Dafür musst du auch ab und zu ein blutiges Knie oder eine zerrissene Hose in Kauf nehmen. 

Ich weiß nicht, ob einer der spanischen Jungs aus Cadiz ist. Jedenfalls habe ich dort in den 90ern auf dem Stadtplatz ein Straßenspiel gesehen, bei dem mir das Herz aufgegangen ist. Kopfsteinpflaster, ein Tor war der Eingang zu Bank, das andere Tor war der Eingang zu einem Schreibwarenladen.

Die Begeisterung spielt mit!

Torwart der einen Mannschaft war der Besitzer des Schreibwarenladens. Der Torwart der anderen Mannschaft, noch mit Anzug und Krawatte, ein Mitarbeiter der Bank, welche bereits geschlossen hatte. 

Das Spiel ging bis 5. Nach fünf Toren war Schluss. Die Kinder dürften zwischen 9 und 12 Jahre alt gewesen sein. Auch Mädchen waren dabei. 

Es war ein Dribbeln, Zurufen, Kurzpassspiel, aber auch ein faires Grätschen auf dem Kopfsteinpflaster. Alle, auch die Mädchen, wussten genau, was ihr Spiel war. Drei Burschen stachen besonders heraus. Deren gekonntes Abschirmen des Balles gegen den Gegner, ihr Blick für die mitlaufenden Spieler und ihr Rückpassspiel war sehenswert. 

Am Ende spendierten die beiden "Torwarte" für die zwölf Spieler Getränke, die gemeinsam vor der Bar getrunken wurden. Danach löste sich die Gruppe auf und alle gingen wieder ihrer Wege. 

Wer Fußball so lernt, evtl. danach noch in einem guten Verein das zusätzliche Rüstzeug erhält, der kann großes erreichen. 

Die spanischen Fußballer haben der deutschen Nationalmannschaft den Straßenfußball elegant ins Stadion getragen und dem deutschen Reißbrettfußball ein gnadenloses Bild vor Augen gehalten.


Individualität und Spielwitz mit Taktik ...

... werden in Zukunft die Herzkammern des Fußballs sein.

 Leider wurden diese wichtigen Eigenschaften der Fußballhochschule und den teilweise weltfremden Lehrinhalten der Sportschulen geopfert.

Athletik und Kampfsport, gepaart mit schulähnlichem Unterricht haben derzeit die Leichtigkeit des Spiels mit all seinen Persönlichkeiten verdrängt.

Stars und solche, welche glauben, Star werden zu können, haben sich mit ihren Beratern im Profi- und mittlerweile auch im Amateurfußball eingenistet, wie der Kuckuck in der Natur.

Sie setzen ihre Kuckuckskinder in die Nester der Vereine, um kurz darauf zu kassieren.

Ich wage zu behaupten, in Deutschland gibt es in allen Regionen viele hoch talentierte Kinder, deren Potenzial einfach deshalb nicht erkannt werden kann, weil die Trainingseinheiten dies von Grund auf unterdrücken.

 

Keine Mittelstürmer - nur noch Stoßstürmer

Die modernen Fußballprofessoren haben es sogar geschafft, die Speerspitze eines Sturms von Fußballmannschaften zu "kastrieren". 

Der Mittelstürmer muss sich in die Angriffskette einreihen. Es stimmt, Abwehr bzw. Verteidigung beginnt am gegnerischen 16er.  Aber, kann es soweit gehen, dass der Mittelstürmer sich bis an den eigenen 16er zurückziehen muss, um mit der 4er Kette des Mittelfelds die Abwehr zu verstärken?

Beim Konter soll er aber bereits wieder an der Mittellinie die Ballabsicherung übernehmen, die Flügel bedienen und am Ende im gegnerischen 16er für Unruhe und Tore sorgen. Das machen unsere Stoßstürmer. Aber was kommt dabei raus?

Keine Gefahr im gegnerischen Strafraum!

Warum hat der FC Bayern so viele Titel gewonnen? Genau, weil sehr gute Spieler in der Mannschaft sind. 

Allerdings auch deshalb, weil ein Lewandowski im 16er bzw., wie es im Hochdeutsch heißt, "in der Box" seine Torgefährlichkeit entfalten konnte. 

Er konnte sie nur deshalb entfalten, weil er seine Laufwege und seinen Bewegungsradius im Segment Mittellinie bis gegnerischer 11er voll ausschöpfen konnte. 

Unsere modernen Trainer wollen aus allen Spielern Torschützen und Abwehrspieler zugleich formen. Das hört sich schön an, wird aber leider an der Praxis und den unterschiedlichen Veranlagungen der Fußballer scheitern. 

Warum haben sich Thomas Müller, Gnabry und Sanè gegen Dänemark so schwer getan? Weil eben kein Mittelstürmer weit und breit zu finden war. Das alles sind die so gut ausgebildeten "Stoßstürmer", welche aber Räume benötigen. Die bekommen sie im 16er nicht geschenkt.

Ein Mittelstürmer wie Lewandowski reißt Räume für seine Mitspieler und unterstützt diese für ihre Zuspiele.

Ein guter Mittelstürmer mit deutschem Pass ist wohl in der Bundesliga derzeit nicht mehr zu finden. Die Lehrstunden auf der Straße fehlen. Die Trainingseinheiten mit Kettenlehre, sprinten und Taktik-Schulungen haben ihren Teil dazu beigetragen. 

Statt den Klassiker 2 gegen einen Ballführenden oder einer gegen einen im 16er mit Ballabschirmung und Torschuss auf zwei kleine Tore wird versucht professionelles Aufbau- und Taktik-Spiel mit ein oder zwei Ballkontakten zu schulen.

Die Ausbildungseliten des DFB und der Vereine haben den Mittelstürmer wohl ebenso ad Acta gelegt wie den Libero. Letzterer erlebt seit einiger Zeit seine Wiedergeburt. 

Es wird wohl sehr lange dauern, bis Deutschland wieder schlagkräftige Mittelstürmer aufbieten kann. 

Deren Ausbildung sollte möglichst bald wieder in das Programm der Trainerakademien aufgenommen werden. 

 

Und dann die Trainer!

Zu viele ehrgeizige Trainer nutzen, vor allem aber benutzen die Leistung und Begabung Kinder und Jugendlicher als Sprungbrett für die eigenen Ziele, statt deren Potenzial zu fördern.

Kaum ergibt sich die Möglichkeit in irgendeinem Wald- und Wiesenverein ein paar Kröten mehr in einer vielleicht noch etwas höheren Hammelklasse zu verdienen, sind sie schon weg. Es interessiert sie nicht was mit ihren Jungs oder Mädels nächste Saison passiert. Hauptsache das Ego ist befriedigt.

Wer hat denn beim FC Bayern und vielen anderen Vereinen junge Spieler in den Profibereich gebracht? 

Nicht die ehemaligen Stars! 

Es waren die Hermann Gerlands, denen der Fußball und die Jungen noch etwas bedeutet haben. Hermann Gerland dürfte als Jugend- und Amateurtrainer ebenso als "die Vaterfigur" eines Co-Trainers in Deutschland unerreicht sein. 

Dem FC Bayern ist das sehr wohl bewusst. Gerade junge Profis benötigen ihn als Anker und Hilfe bei Problemen. 

Vermutlich interessiert Hermann Gerland sein Marktwert nicht. Ihn interessiert die Weiterentwicklung junger Spieler für den FC Bayern.

Leider hat sich das Verhalten des FC Bayern gegenüber Hermann Gerland ebenfalls gewandelt. Ob die künftigen Trainerstäbe die Erfolge eines Herman Gerland und eines Gerd Müller (auch er war Trainer des Nachwuchses, zusammen mit Gerland) erreichen werden, wage ich zu bezweifeln.

Wenn heute für einen Trainer Millionenbeträge bezahlt werden, ein Spitzen-Vertreter des DFB sich wehren muss, dass aus dem Amateurbereich Geld für die Ablöse eines Trainers gezahlt wird, dann ist die letzte Bastion einer Vorbildfunktion vermutlich bereits geschliffen.

Kein Trainer kann sich mehr darauf berufen, dass Verträge von Spielern erfüllt werden müssen, wenn diese Spezies selbst der Vertragsunlust und dem winkenden höheren Gehalt den Vorzug gibt. 

Was einerseits  dem Zeitgeist entspricht andererseits dem Ansehen des Fußballs mehr schadet als nutzt.

 

"Ja aber die erfolgreichen deutschen Trainer?", werden Sie fragen.

Das wird einem vorgehalten, wenn der deutsche Fußball von seiner Ausbildungsseite kritisiert wird.

Schauen Sie sich doch die Mannschaften an, die von erfolgreichen deutschen Trainern trainiert wurden und werden: Durchsetzt von Straßenfußballern, Stürmern mit Individualkönnen und echten Mittelstürmern. 

Egal, ob in Spanien, England zuletzt auch Deutschland oder in anderen Ländern: Meist haben die ehemaligen Straßenfußballer mit ihrem Willen und Können die Spiele entschieden. 

Ein FC Bayern ohne Robben, Ribery und Lewandowski hätte sich im internationalen Vergleich vermutlich nicht so in den Vordergrund spielen können. 

Und dazu kam das Verständnis für diese Individualisten, die sich ins Mannschaftsgefüge einbrachten: Heynckes, Hitzfeld, Flick, Weisweiler, Lattek, Klopp - alles Trainer, die Individualisten so ins Gefüge integrierten, dass die gesamte Mannschaft profitierte.  


Am Ende die Medien!

Die Medien wollen und brauchen das Spektakel einer Trainerfrage. Schließlich geht es um ihre Einschaltquoten. 

Schließlich geben die Medien Millionen dafür aus, Werbung für den Fußball machen zu dürfen. Es müsste eigentlich umgekehrt sein: Wenn die Medien für ein Produkt Werbung machen, muss der Hersteller des Produkts dafür bezahlen. In diesem Fall geht es um das Produkt bzw. die Ware Profi-Fußball.

Würden die Medien sich für Übertragungen von den Vereinen bezahlen lassen, wäre das eine mehr als gerechte und vernünftige Sache. Leider wird dieses Rad nicht mehr zurückgedreht werden können.   

Jede und jeder kompetente oder auch weniger kompetente Journalist darf sich mit seinen Fragen nach dem Spiel an Trainern und Spielern abarbeiten. 

Mag ja auch ihr Job sein. Aber die Frage, "warum wurde das Spiel verloren?", gehört verboten. 

"Ja, weil der Gegner eben mehr Tore erzielt hat", wäre die passende Antwort.

Danach kommt der Hochschuldozent: "Wir haben nicht schnell genug aus der Viererkette gegen den Ball gearbeitet. Auch die Raute hat nicht funktioniert, weil der Gegner unser Spiel bereits an der Mittellinie mit intensivem Gegenpressing zum Erliegen gebracht hat."

Auf gut Deutsch: Wir haben es heute mit guten Spielern zu tun gehabt und waren eben selber nicht in der Lage gut zu passen und rechtzeitig zu verteidigen. So ist das Spiel. Manchmal klappt der Plan, ein anderes mal nicht."

Danach die Frage des Reporters: "Glauben Sie, dass Sie nächstes Spiel noch an der Linie stehen?"

Antwort: "Klar, mir ist nichts Gegenteiliges bekannt."

Auf gut Deutsch: Sicher kann man sich nie sein. Aber noch kann ich mich dazu nicht äußern. Dazu müssten Sie sich an unseren Pressesprecher wenden." 

Danach wird der Experte im Studio noch befragt, ob er denkt, dass der oder die Vereine nächstes Jahr noch in der Bundesliga spielen werden oder in der Champions-Leage weiterkommen könnten. 

Die darauf folgenden Statements entsprechen denen eines Hellsehers, welcher gefragt wird, ob am Montag ein weiteres "schwarzes Loch" in unserer Michstraße entdeckt werden wird.  

Christian Streich, Trainer des SC Freiburg, hat fast immer die passende, aber vor allem klare Antwort.

Er steht nicht nur für klare Ansagen, sondern auch für Beständigkeit im Fußballgeschäft. Leider werden auch solche Vorbilder irgendwann der Vergangenheit angehören.

Vor allem habe ich von Christian Streich noch nie die Phrase "gegen den Ball" gehört. Wer so etwas in den Mund nimmt, hat zwar den Sinn der Medienarbeit verstanden, verweigert sich jedoch der Philosophie des Fußballs:

"Fußball wird mit dem Ball gespielt!" Es gibt kein Spiel gegen den Ball, lediglich gegen den Gegner. 

Leider festigt sich immer mehr der Eindruck, auch der Ball wäre ein Teil des Gegners und nicht das Spielgerät.



 
 

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