Fußball: das W-System mit Doppellibero ...

... vor und hinter der Kette!

 Pressing im W-System!



Bildausschnitt aus "Tausend tolle Tore" 1965/1966 vom Sicker-Verlag, Frankfurt/Main
 

Der Libero erlebt eine nie geglaubte Wiederauferstehung.

Ausputzer, Spielgestalter, letzter Mann, Chef der Abwehr wurde er früher genannt.

Diesen "Managern" auf dem Spielfeld wurden viele Bezeichnungen zuteil. Ihr Spiel war Typbezogen, stand aber, wie bei keinem anderen Mannschaftsteil, immer im Dienst des gesamten Teams.

Neben ihrer Spielübersicht sowie dem "Lesen und Beurteilen" des gegnerischen Spiels waren Technik, Kopfball-, Sprint- und Zweikampfstärke ebenso wie Kompromisslosigkeit gefragt.

Wer kennt sie noch, die ehemaligen Stars der Verteidigung? 

Ihre Bezeichnung: Libero. 

Auf ihrem Trikot war immer die Nummer 5. 

Bekannteste Spieler auf dieser Position: Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus, Klaus Augenthaler, Matthias Sammer,  Klaus Fichtel, Bruno Pezzey, Willy Schulz usw..

Der freie Abwehrspieler ohne Deckungsaufgaben in der Verteidigung einer Fußballmannschaft. 

Eine weitere Bezeichnung war für diese Spieler: "Der Mittelläufer".

Diese Spieler dirigierten ihre Mitspieler in der Verteidigung und schalteten sich nach einer Balleroberung in das Aufbau- und Mittelfeldspiel ein.

Schleichend, aber stetig entwickelte sich der Fußball weiter. Irgendwann hieß es, der Libero ist kein Teil des modernen Fußballs.


In den neuen "Kettensystemen"  wird der Libero "der 6er".

Mit der Einführung der "Ketten" und "Rauten" als Spielsysteme rückte der Libero vor die Abwehrkette und erhielt die Bezeichnung "Staubsauger vor der Abwehr". Es war jetzt der " 6er", der Abwehr mit Angriff verbinden sollte.

Bekanntester Vertreter dieses neuen Defensivsystems war Bastian Schweinsteiger. Sein Nachfolger ist JOSH KIMMICH.

 Es bedarf einer guten Spielübersicht und eines sicheren Passspiels, verbunden mit einer guten Zweikampfstärke, um diese Position optimal zu bespielen. 

Allerdings besteht die Gefahr darin, dass der 6er evtl. kein gelernter bzw. kein Abwehrspieler mit Erfahrung ist und daher nicht alle genannten Attribute eines Liberos erfüllen kann.

Glücklich kann sich der Trainer schätzen, der einen guten Abwehrspieler ohne Probleme ins Mittelfeld beordern kann und sich dabei sicher ist, dass dieser Spieler alle vorher genannten Eigenschaften eines Liberos mitbringt. Bessere Voraussetzungen für einen 6er kann es gar nicht geben.

Die Aussage, der 6er sei der moderne 5er, kann ich beim besten Willen nicht teilen. 

Der 6er hat im Wesentlichen defensive Aufgaben im  Mittelfeldspiels zu erledigen. 

Der 5er ist in die Abwehr  integriert und unterstützt in der Rückwärtsbewegung das eigene Mittelfeld eventuell bei Defensivaufgben. Er sieht das Spiel vor sich, kann daher dirigierend in Defensivabläufe eingreifen, oder am Ende den Durchbruch gegnerischer Spieler selbst unterbinden.

Vor der großen "Kettenparade" der "Bundesligaprofessorentrainer" hieß der 10er "Halblinker Stürmer" und der 8er "Halbrechter Stürmer".

 Der 6er war die Verstärkung der Abwehr und Helfer für die beiden Halbstürmer. 

Der 4er war der Vorstopper, welcher dem Libero den Rücken frei hielt und den gegnerischen Mittelstürmer zu "bewachen" hatte.

    

Neue Spielsysteme erfordern wieder den "letzten Mann".

Seit einiger Zeit wird der "echte Libero" jedoch von einigen Trainern wieder als "Letzter Mann" hinter der Abwehr  eingesetzt.

Der Libero ist zurück.

Dies dient zur Absicherung des (imaginären) verlängerten Bereichs des 16ers (Sechzehnmeterbereich) bis zum Mittelkreis.

Der moderne Fußball kann auf ihn nicht verzichten.

Erforderlich wird dies wegen der Veränderung des Passspiels: seit einiger Zeit werden wieder lange Pässe, diese jedoch sehr oft diagonal gespielt. 

Entweder in den Halbraum oder, meist diagonal, Richtung Auslinie, damit schnelle Außenstürmer bzw. flinke Mittelfeld- oder sehr offensive Abwehrspieler in diese Räume hineinstoßen. 

Meister dieses Passspiels waren Boateng, Hummels und es ist immer noch Antonio Rüdiger. Boateng war darin allerdings Weltklasse. 

In den Spielen Bayern gegen Leipzig und Bayern gegen Frankfurt wurden von Pavard und von Hernandez Diagonalpässe geschlagen, welche die gegneriscvhen Abwehrketten ein um das andere mal ins Straucheln brachten.

Mit der dreier Abwehrreihe und dem sich oft dahinter positionierten Upamecano gelang es den Frankfurtern  nicht, ihr Spiel mit weiten Pässen und Flankenläufen umzusetzen.

Mit solchen Pässen werden Abwehrreihen schnell überspielt.

 Während die Abwehrspieler in der Rückwärtsbewegung erst Geschwindigkeit aufnehmen müssen, sind die Gegenspieler bereits in voller Vorwärtsgeschwindigkeit  und haben so einen leichten Vorsprung.

Klassisches Beispiel war das Spiel FC Bayern - Holstein Kiel: Finn Bartels hätte mit einem "echten Libero" des FC Bayern den über die Abwehrreihe(n) geschlagenen Ball nie so verarbeiten können.

Der Libero hinter der Abwehrkette hat in solchen Situationen den Vorteil, dass der Ball ihm entgegen fliegt, rollt oder springt, so kann er diesen bei gleichzeitiger Vorwärtsbewegung schneller kontrollieren, abwehren oder weiterspielen. 

Holstein Kiel spielte mit einem Libero! Jeder konnte sehen wie schwer sich der FC Bayern bei seinen Angriffen tat.

Spielt der Gegner mit Libero muss die ballführende Mannschaft vorsichtiger agieren, weil durch zu schnelles Starten von eigenen Spielern Richtung gegnerisches Tor in den eigenen Reihen Lücken entstehen, die für einen "W-Angriff" genutzt werden können.

"W-Angriffe" sind ein von mir erfundener Begriff. 

Vorne sind drei Anspielstationen, in der dahinter liegenden Reihe mindestens zwei Anspielstationen. 

Zieht man das W auseinander wird daraus sehr schnell eine flexible 5er Kette, welche Abwehraufgaben bereits beim sogenannten Pressing über nehmen kann, während der Libero  die Abwehr samt Mittelfeld organisiert. 

Ein sogenanntes 1-3-1-3-2 wäre wohl die flexibelste Lösung.

Verteidigungsnetz mit Libero und 6er:

Ein Libero (Nr. 5), drei Verteidiger, 

ein"Staubsauger" als 6er, 

drei Mittelfeldspieler, 

Zwei Stürmer. 

 

Ob gewollt oder wegen des Drucks von Leipzig im DFB-Pokalspiel hat Dortmund dieses System gespielt. 

Libero Hummels, "Staubsauger" Can, sehr starke Außenverteidiger und ein kampfstarker Akanji, der hinter Can oder Hummels die Lücken schloss.

Leipzig hatte zwar noch Chancen, aber Dortmund blieb gefährlich, weil Leipzig hinten an einer Dreierkette festhielt, statt mit einem Libero und einer etwas spielintensiveren Abwehr das eigene Spiel beim Angriff in die Breite zu ziehen, was nach der Einwechslung von Nkunku und Forsberg wichtig gewesen wäre.

Hätte, wenn und aber. Ich gratuliere Dortmund zum Sieg, bedanke mich aber zugleich bei Leipzig für ein schönes Finale, das ein Lehrstück für Fairness und sportliches Benehmen war.

 

Zurück zum Libero als Spielgestalter

Wie oft wird von Abwehrspielern gesprochen, welche sich entweder bei Standartsituationen (Eckbällen und Freistößen) in das Angriffsspiel einschalten, um ihre Stärken (Kopfballspiel oder Blocken für Mitspieler) einzubringen. 

Hier war bei Bayern Javi Alonso ein gefragter Mann. Bei Borussia Dortmund ist es Mats Hummels. Bei Eintracht Frankfurt Martin Hinteregger. Ich habe hier nur die bekanntesten genannt. 

Bei Standartsituationen übernimmt die erforderliche Abwehrarbeit entweder ein Mittelfeldspieler (manchmal der 6er) oder ein Abwehrspieler lässt sich auf die Liberoposition zurückfallen und ein Mittelfeldspieler rückt in die Abwehrkette. 

Das beste Spiel. das ich je mit zwei Spielern als Doppel-Libero gesehen habe, war 1972 in England. Franz Beckenbauer und Günther Netzer wechselten sich in der Libero-Position ab, wenn ein Angriff von deutscher Seite gestartet wurde. 

So wurde das Abwehrspiel nie geschwächt und die Angriffsreihe immer von einem genialen zusätzlichen Mittelfeldspieler unterstützt. Durch die abwechselnden Vorstöße der beiden Spielgestalter fand das britische Mittelfelspiel nie zu seiner Stärke, weil es dort selten zu Balleroberungen kam und das Mittelfeld mehr Abwehraufgaben übernehmen musste.

 

Dieses Fußballspiel hätte bereits zu einer Trendwende, hin zu mehr Flexibilität, führen können. Leider haben Beckenbauer und Netzer nie zusammen in einer Vereinsmannschaft spielen können bzw. dürfen. 

Es wäre ein Fußball der Superlative geworden, da beide ihre Stärken einbringen hätten können. Netzer mit seinen fast auf den Zentimeter genauen Pässen und Beckenbauer mit seinem Spiel durch die Mitte über den Doppelpass.

 

Es hat einige Jahrzehnte gedauert, aber nun, dank der sich langsam wieder verändernden Spielweisen, wird dem Libero die Wiederauferstehung seiner Postion fast auf dem Silbertablett serviert. 

Allerdings wird es einige Zeit dauern, bis sich auch in den Amateurligen diese Variante des Spiels wieder quer durch die Mannschaften durchsetzen wird. 

Verzweifelt haben viele Trainer immer wieder ihr "Kettenspiel" als System gepredigt, nur um "auf Linie" zu sein. Einige erfahrenere Trainer hatten schon früher erkannt, dass sie auf die Fähigkeiten eines Liberos angewiesen sind. 

Es wird wieder einige Zeit dauern, bis Schüler und Jugendtrainer den Schwenk vollziehen. 

Gerade in den Amateurligen hängen Sieg oder Niederlage sehr oft von einem guten Abwehrverhalten ab. Ein echter Libero täte manchem Spiel gut. Am besten wären zwei Liberos, welche sich ihre Aufgabe teilen, um der Abwehr immer Stabilität und dem Angriff die nötige Unterstützung zu geben.

 

Hier komme ich zum Straßenfußball und zur Jugendarbeit.

Wo, wenn nicht auf der Straße und auf Bolzplätzen können junge Fußballer und Fußballerinnen die wichtigsten Fertigkeiten für diesen Sport lernen: Stoppen, Ball gegen zwei Gegner verteidigen, Doppelpass und Kurzpassspiel. Dazu den Körpereinsatz, welcher im Fußball ein wichtiger Faktor im Abwehr- und Angriffsverhalten ist. 

Beim Spiel zwei gegen drei oder drei gegen vier lernen die Spieler, welche bei der unterzähligen Mannschaft spielen, sich auf engem Raum schnell zu bewegen, mit Körpertäuschungen sich einen Vorteil zu erarbeiten aber dabei immer zu helfen und sehr schnell auf Angriff umzuschalten ohne die Mitspieler in brenzlige Situationen zu bringen.

Das Kopfballspiel kommt beim Straßenfußball selten bis gar nicht zur Geltung. Gutes, vor allem aber kluges Kopfballspiel ohne Gegner oder sich selbst zu verletzen, kann nur in langen Trainingseinheiten verinnerlicht werden. Sprungkraft und Koordination, dazu der schützende Körpereinsatz benötigen bei Jugendspielern immer wieder intensivere Trainingseinheiten.

Nicht umsonst wird beim Einsatz eines Kopfballpendels oft über ein hartes Training geklagt. Es geht dabei um die Stabilisierung der Nackenmuskulatur in Koordination mit der Sprungkraft. Allein dafür sind beim Aufwärmtraining bereits ca. 50 leichte Kopfballübungen erforderlich.

Horst Hrubesch und Gerd Müller, Robert Lewandowski, Niklas Süle, Mats Hummels und Jerome Boateng beherrschten bzw. beherrschen dieses Spiel ebenso, wie Simon Terodde und Bas Dost oder der gerade aufsteigende Stern am Stürmerhimmel, Saša Kalajdžić vom VfB Stuttgart.

Gerade der Libero ist gefragt, wenn es bei Eckbällen oder Freistößen um die "Lufthoheit" im 16er geht. Sein Stellungsspiel, zusammen mit der Unterstützung seiner Abwehrkollegen, kann bei kopfballstarken Stürmern des Gegners eine "Lebensversicherung" für die eigene Mannschaft sein.

 

Letztendlich kann festgestellt werden, ein Trainer kann noch so viel Philosophie in sein Spiel einbringen, spielen müssen auf dem Platz seine 11 Spieler. 

Manche Spieler lesen das Spiel ihrer Gegner sehr schnell und reagieren darauf. Manchmal schneller als der Trainer. 

Es stellt sich dann die Frage, wessen Spiel denn umgesetzt werden soll. 

Gute Trainer reagieren auf das Verhalten ihrer Spieler und versuchen ihre Taktik den Gegebenheiten anzupassen. Notfalls mit Spielerwechseln.

Schlechte bzw. sture Trainer beharren auf ihr System so lange, bis die Spieler den ihnen aufgetragenen Stiefel herunterspielen und am Ende emotionslos ihren Auftrag erfüllen, da sie bei einem Aufbegehren sehr schnell auf der Bank sitzen oder evt. aussortiert werden.

Schon öfter hat sich gezeigt, dass nach Trainerwechseln die bereits aussortierten Spieler wieder Linie ins Spiel gebracht haben, weil sie wegen ihrer Erfahrung wussten, welche Mitspieler wann unterstützt werden müssen, auch wenn die eigene Position darunter etwas zu leiden hatte.

Der Libero sollte abgeschafft werden, war nie ganz weg und erlebt derzeit eine Wiedergeburt. 

Das ist das Schöne an dieser Sportart - Alles bleibt beim Alten, auch wenn das Alte aussortiert werden soll.

 



Kommentare

Azubis - was ist versichert?

Vorsorgen für das Alter - Warum so kompliziert?

Auszubildende (AZUBIS) - welche Versicherungen?

"Wahlen? Kruzifix, macht endlich mal!" Eine Rede ...

Bloggen, weil ...

Demokratie - Nur noch Fankultur oder Verantwortung?

Putten - Königsdisziplin

Abschlag: Warum mit Kraft?

Grazile Kunst: Chippen und Pitchen

Sehnsucht, Gier und wir

Leben in München: Brotzeit contra Globalisierung