Reden wir mal über einen alten Traktor ...
... und die Sinnhaftigkeit der Erhaltung
von Erinnerungen
Es war ein alter Haufen aus Blech, Eisen und einem Einzylindermotor: Der Name dafür latet HELA Lanz.
Schon als Jugendlicher war ich begeistert, wenn ich es wieder mal geschafft hatte dieses Gerät mit der Kurbel anzuwerfen, nachdem ich lange genug den Glühkpf hatte heiß werden lassen.
Mit einem dumpfen "Wumm ... Wumm ... Wumm begann sich der Kolben des Motors erst langsamer, dann allmählich schneller auf und ab zu bewegen.
Dabei wurde eine große Wolke Dieselruß aus dem großen Auspuff geschleudert.
Damit der Motor etwas wärmer werden konnte, musste das Standgas, eine Hebelvorrichtung aus Metall, bedient werden.
Und danach ging es ab über die Wiese vor unserem Haus. Es war als würde die Freiheit des Moments einen Jubelschrei über den Auspuff hinauslassen.
Irgendwann verschwand dieser Freudenspender in einem Schuppen und wurde lange Jahre nicht mehr bewegt.
40 Jahre später wurde der Schuppen geräumt. Alles Alte sollte entsorgt werden. Gabelheuwender, Mehrzweckackergeräte, Heupresse, und ein alter Motor, mit dem lange Grundwasser zur Trinkwasserversorgung für das Haus und den Stall aus ca. 10 Metern Tiefe gepumpt worden war.
Und da stand auch er, der alte Lanz. Verstaubt, voller Rost, kaputte Reifen, defekte Batterie, und schlechte Lichter.
Ich habe ihn mit einem moderneren Traktor herausgezogen, denn er sollte zu Kilopreis verscherbelt werden.
Als er so vor mir stand lief in meinem Kopf ein Film ab: Vater und Großvater waren darauf gefahren, hatten mit ihm gearbeitet, Heu heimgefahren. Ich hatte mit ihm schöne Zeiten erlebt.
"Nein", sagte ich zu mir. "Das hat er nicht verdient."
Ich kannte in Moosinning bei Erding einen Landmaschinenmechaniker, der alles reparieren konnte. Emil Mayr.
Nach einem Telefonat sagte er nur: "Gieße Wasser in den Kühler und schau ob irgendwo Wasser rausläuft. Wenn ja, dann ist er nicht mehr zu reparieren.
Er war dicht! Das Abenteuer Restaurierung konnte angepackt werden.
Neue Reifen, neue Lichtanlage, Tankspülung und Kraftstofffilter erneuern, Neue Bremsen, alle beweglichen Teile wieder gangbar machen und die rostigen Schrauben ersetzen.
Am Ende dann noch in den Originalfarben spritzen.
Es dauerte mehr als ein Jahr, bis der Anruf kam, ich könne sein Wek besichtigen und auch wieder für den Verkehr anmelden.
Es wäre alles einfach dachte ich.
Ich nehme den KFZ-Brief Und gehe zur KFZ-Zulassungsstelle zusammen mit dem Tüv-Gutachten.
"Sie benötigen ein Lärmgutachten für dieses Fahrzeug, sonst kann ich Ihnen die Plakette nicht ausstellen", wurde ich aufgeklärt.
Also wieder zum TÜV, um das Lärmgutachten einzuholen. Dort war guter Rat teuer, denn für ein Lärmgutachten müsse man mit mindestens 40 Km/h eine Lämmessungsstrecke befahren.
Was tun, wenn das Fahrzeug nur 20 Km/h Geschwindigkeit auf die Straße bringt?
Also wurde in der Halle von Herrn Mayr eine Lärmprüfung mit Vollgas im Stand vom TÜV durchgeführt.
Der kleine Racker bestand auch diese Prüfung und endlich konnte ihm die Erlaubnis erteilt werden, wieder am "normalen Leben" des Straßenverkehrs teilzunehmen.
Wie sagte ein begeisterter Oldtimerkenner, den ich dort kennenlernte, wo ich meinen nun fast neuen fahrbaren Untersatz eingestellt hatte? "Und, heute wieder ein Ausritt?"
Wie recht er doch hat.
Ausritt, das ist die richtige Bezeichnung für eine Feizeitfahrt mit meinem Hela Lanz.
Wie beim Reiten bewege ich mich in der Gegenwart auf Pferdestärken, die Art der Fortbewegung aber versetzt mich um Jahrzehnte zurück.
Während an mir langsam Felder, Wiesen, Wegraine, Bäche und kleine Weiher vorbeiziehen, tuckert Herr Lanz gemütlich vor sich hin.
Gerade so, als wolle er mir sagen: "Genieße diese Momente! Ich sage dir, es ist grausam, verlassen und einsam in einer Scheune stehen zu müssen, den eigenen Verfall wie eine Selbstzerstörung akzeptieren zu müssen, weil sich niemand erbarmt, um noch einen Rest Aufmerksamkeit zu schenken."
Und ich? Ich reise sitzend, angetrieben von einem Zylinder durch meine Erinnerungen: Als Kind auf dem harten Beifahrersitz, welcher sich noch heute auf dem metallenen Radkasten befindet, auf einem Kissen sitzend, beim Heuwenden zuschauend oder die "Kartoffelwühlmaus" bei ihrer Arbeit beobachtend.
Es stimmt, das Leben hatte damals nicht das hastende "fast living"! Das flotte Leben. Es war eher das "real living" in normal Times - das echte Leben in ganz normalen Zeiten.
Und dabei denke ich an die Schulzeit, als uns mit lateinischen Benennungen die deutsche Sprache mit ihren unterschiedlichen Möglichkeiten der Verwendung beigebracht worden war.
Indikativ, Konjunktiv, Imperativ, dazu die unterschiedlichen Zeiten vom Präsens bis Futur 2 einschließlich des Konjunktivs.
Hätte ich den Lanz nicht raustaurieren lassen, säße ich heute vermutlich nicht auf ihm, um in meinen Erinnerungen zu baden.
Genau das ist es: Schenke der Vergangenheit Deine Gefühle damit Du in der Gegenwart genießen kannst was Dir die Zukunft versucht zu versprechen.
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